3. Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt im häuslichen Bereich

3. Aktionsplan des Landes Hessen zur Bekämpfung von Gewalt im häuslichen Bereich

Die Hessische Landesregierung hat den durch das Hessische Ministerium der Justiz, das Hessische Ministerium des Innern und für Sport sowie das Hessische Ministerium für Soziales und Integration vorgelegten Dritten Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt im häuslichen Bereich beschlossen.

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Der 3. Aktionsplan des Landes Hessen zur Bekämpfung der Gewalt im häuslichen Bereich dient der Umsetzung der „Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“, ist entsprechend der Vorgaben der Istanbul-Konvention aufgebaut und unterscheidet sich somit in seinem Aufbau von den beiden vorherigen Landesaktionsplänen. Das Land Hessen hat seit dem 1. Landesaktionsplan von 2004 aus staatlicher Verantwortung die Prävention häuslicher Gewalt gestärkt und mit dem 2. Landesaktionsplan von 2011 die Maßnahmen zum Schutz und zur Hilfe für die Opfer sowie zur Intervention gegen die Täter weiterentwickelt. Mit dem 3. Landesaktionsplan sollen bestehende Maßnahmen nochmals ausgebaut und Lücken, insbesondere hinsichtlich besonders vulnerabler Gruppen, gemäß den Anforderungen der Istanbul-Konvention geschlossen werden. Das Land Hessen sorgt dafür, dass diese Maßnahmen dauerhaft erhalten, erkennbare weitere Bedarfe gedeckt und Planungsgrundlagen geschaffen werden, um die angestrebte flächendeckende Versorgung auszubauen. In regionalen Arbeitskreisen bzw. Runden Tischen gegen häusliche Gewalt/Gewalt gegen Frauen bestehen hessenweit erprobte und erfolgreiche Netzwerke von öffentlichen Einrichtungen und freien Trägern. Der Landesaktionsplan fördert diese in den Landkreisen und kreisfreien Städten bestehenden Strukturen.

In Hessen hat sich die Zahl der von der Polizei registrierten Fälle häuslicher Gewalt stetig erhöht. 2020 wurden 10.013 Fälle häuslicher Gewalt mit einer Zunahme von 7,7% im Vergleich zu 2019 registriert; in 80 % der Fälle waren die Opfer weiblich (https://www.polizei.hessen.de/die-polizei/statistik/Öffnet sich in einem neuen Fenster). Es ist davon auszugehen, dass die Erhöhung der registrierten Fallzahl auch auf die erhöhte Aufklärung und gestiegene Anzeigenbereitschaft zurückzuführen ist. Auch die unmittelbaren Folgen der Corona-Pandemie haben vermutlich zu mehr Fällen häuslicher Gewalt geführt.

Gewalt im Geschlechterverhältnis findet demnach häufig im häuslichen Bereich statt, richtet sich ganz überwiegend gegen Frauen und hat Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche als Zeuginnen und Zeugen der Gewalt und unmittelbar Betroffene aufgrund des Aufwachsens in einem Klima der Gewalt. Die, zumeist gegen Frauen gerichtete körperliche, sexuelle, physische und wirtschaftliche Gewalt in Paarbeziehungen ist eine Menschenrechtsverletzung. Sie kann zu sehr schweren Verletzungen führen und zu dauerhaftem gesundheitlichen Leiden psychischer und physischer Natur. Gewalt im häuslichen Bereich verursacht auch hohe gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten. Um eine umfassende und erfolgreiche Bekämpfung häuslicher Gewalt zu erreichen, müssen sich die Angebote an alle von Gewalt betroffenen bzw. involvierten Zielgruppen richten. Zu den notwendigen Maßnahmen gehören neben dem Schutz und der Beratung betroffener Frauen und Kinder auch Beratungsangebote für Männer, die häusliche Gewalt ausüben, ebenso wie für Männer, die Opfer von Gewalt werden. Beratung von Gewalt ausübenden Personen kann zugleich Schutz der Opfer vor weiterer Gewalt sein.

Geschlechtsspezifische Gewalt basiert auf historisch gewachsener und fortbestehender Machtungleichheit zwischen den Geschlechtern, die strukturelle Ursachen hat und auf sozialisationsbedingter Zuweisung und Übernahme von Geschlechterrollen beruht. Partnerschaftsgewalt kommt in allen sozialen Schichten sowie unabhängig von Bildungsstand, Alter, ethnisch-kultureller Herkunft oder Religionszugehörigkeit vor, ist in höheren sozialen Schichten aber zumeist weniger sichtbar. Besondere Risikofaktoren für Frauen, schwere physische Partnerschaftsgewalt zu erleiden, bestehen vor allem in Situationen ökonomischer Anspannung sowie kritischen Übergängen in der Paarbeziehung wie Geburt eines Kindes, Aufnahme einer Erwerbsarbeit der Partnerin oder wenn sich in anderer Weise das traditionelle Machtgefüge zwischen Mann und Frau verändert und sich der Täter in seinen Macht- und Kontrollansprüchen bedroht sieht. Alkohol bewirkt nicht als solcher Gewalttätigkeit, dient aber häufig als Legitimierung und Entschuldigung. Die Verlaufsformen physischer, psychischer, sexueller, ökonomischer und sozialer Gewalt in Paarbeziehungen können sehr unterschiedlich sein.
Nach der bisher einzigen bundesweiten, repräsentativen Studie von Ursula Müller und Monika Schröttle von 2004 (zu finden auf https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/studie-lebenssituation-sicherheit-und-gesundheit-von-frauen-in-deutschland-80694Öffnet sich in einem neuen Fenster) handelt es sich in den in den wenigsten Fällen um einmalige Ereignisse, manchmal um sich wiederholende „leichtere“ Formen der Gewalt, die sich nicht grundlegend steigert und nicht zu sichtbaren Verletzungen führt, nicht selten aber auch um sukzessiv zunehmende Gewaltsequenzen, deren Anlass immer kontextunabhängiger wird und die in steigendem Maße mit nachweisbaren körperlichen Verletzungen einhergehen. Frauen von hoch gewalttätigen Männern sind in Trennungssituationen – beziehungsweise nachdem sie sich getrennt haben – besonders gefährdet. Frauen leben nicht selten in Zusammenhängen, die es ihnen aus sozialen, kulturellen oder individuellen Gründen erschweren oder unmöglich machen, Partnerschaftsgewalt als solche zu erkennen und klar zu definieren. Solange sich die Frauen in der Gewaltbeziehung befinden und für sich keinen Ausweg daraus sehen, entwickeln sie Strategien des Erduldens von Gewalt wie Demütigungen und Verletzungen, die sie psychisch gefährden und körperlich krankmachen. Daher sind öffentliche Kampagnen gegen häusliche Gewalt mit Angabe von Hilfemöglichkeiten, Beratungs- und Schutzeinrichtungen sowie Maßnahmen, die Gewaltausübende in Verantwortung nehmen und Kinder in die Schutzmöglichkeiten einbeziehen, von größter Wichtigkeit.

In fast der Hälfte der Fälle häuslicher Gewalt leben Kinder und Jugendliche im Haushalt. In verschiedenen wissenschaftlichen Expertisen wurde nachgewiesen, wie stark das Kindeswohl durch häusliche Gewalt bei anhaltenden Gefühlen der Bedrohung, Hilflosigkeit und Überforderung gefährdet wird (vgl. z. B. Melanie Büttner (Hrsg.): Handbuch Häusliche Gewalt. Stuttgart 2020). Väter, die vor ihren Kindern fortgesetzt Gewalt gegen deren Mutter ausüben, misshandeln damit auch ihre Kinder. Die Folgen einer möglicherweise daraus resultierenden Traumatisierung werden zum Teil schon im Kindes- oft aber erst im Jugend- bzw. im Erwachsenenalter sichtbar. Die Fürsorgefähigkeit der Mütter kann als Folge von Gewalt beeinträchtigt werden. Zudem erfolgen häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung häufig zusammen.

Miterlebte Gewalt zwischen den Eltern beeinträchtigt Jungen und Mädchen in jeweils geschlechtsspezifischer Weise und behindert die Entwicklung ihrer sozialen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten. Daher muss das Miterleben von häuslicher Gewalt als eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls nach § 8a SGB VIII angesehen werden. Die Früherkennung dieser Gefährdung hat eine wesentlich präventive Funktion und stellt eine Herausforderung für alle an Intervention, Schutz und Hilfe beteiligten Berufsgruppen dar.

Mit dem Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (§ 31 HSOG) hat die Polizei ein Instrument zur Wegweisung eines Gewalttäters mit einer gesetzlich eingeräumten Dauer von 14 Tagen und sie kann zudem ein Kontaktverbot aussprechen. Die hessische Polizei stärkt die Prävention, indem sie sowohl Opfer als auch Täter auf vorhandene Hilfen hinweist. Die hessischen Staatsanwaltschaften verzeichnen Strafverfahren wegen häuslicher Gewalt auf weiterhin hohem Niveau. Zudem wurden zivilgerichtliche Schutzmöglichkeiten durch das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) ausgebaut. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass polizeirechtliche, strafrechtliche sowie zivilrechtliche Maßnahmen allein nicht ausreichen, um häusliche Gewalt zu bekämpfen, sondern es bedarf einer Kooperation und Koordination aller Institutionen und Berufsgruppen auf kommunaler und Landesebene, die gegen häusliche Gewalt tätig sind.

Aus Landesmitteln wurde im Februar 2006 eine Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt eingerichtet, die die regionale Vernetzung und fachliche Qualität von Intervention und Hilfe durch Informationen unterstützt  sowie landesweite Fortbildungen für alle Berufsgruppen, die mit häuslicher Gewalt in Berührung kommen, insbesondere die Justiz, mit sichert (https://lks.hessen.de/). Über diese wichtige Koordinierungsmöglichkeit gegen häusliche Gewalt hinaus ist Bedarf für eine sämtliche Bereiche der Istanbul-Konvention umfassende Koordination der Maßnahmen auf Landesebene entstanden, da die verschiedenen Formen geschlechtsbezogener Gewalterfahrungen von Frauen und häusliche Gewalt vielfach miteinander verschränkt sind und gemeinsam bekämpft werden müssen.

Zudem ist wichtig zu betonen, dass in allen Kampagnen und Maßnahmen Menschen in ihrer Vielfalt gesehen werden müssen, so dass alle Gruppen mit ihren spezifischen Bedarfen (insbesondere körperlich, psychisch und geistig beeinträchtigte Menschen, migrierte und geflüchtete Menschen, sowie Menschen aller sexuellen Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten (LBGTIQ)) Berücksichtigung finden.

Die in diesem Aktionsplan gemäß der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und gegen häusliche Gewalt geplanten Maßnahmen sind im Folgenden bezogen auf den Aspekt häusliche Gewalt dargestellt. Dabei wurden diejenigen Artikel der Konvention ausgewählt, die auf der Landesebene von Bedeutung sind.

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